Peniblos und Chaoten

Manchmal verschlägt´s mir die Sprache. Und das passiert tatsächlich nicht so oft. Es könnte vielleicht und eventuell hin und wieder mal kurzfristig vorkommen, dass ich mich bei Facebook verlaufe. Bin ja auch nur ein Chaot… äh, Mensch. Und dann verfolge ich Beiträge in Gruppen, über die ich jetzt keineswegs herziehen möchte. Aber ich frage mich dann, ob mit mir etwas nicht richtig ist. Ob meine Wahrnehmung kaputt ist. Ich lese ellenlange Posts, indem es darum geht, ob und mit welchem Mittel dieser klitzekleine Mini-Fleck auf der Waschtischarmatur im Bad (der auf dem Foto mit roter Farbe umkringelt ist, damit man ihn überhaupt erkennen kann – mit Lesebrille natürlich) zu entfernen ist. Wenn ich noch überlege, ob das ein Witz-Post ist, kommen schon die ersten Antworten von Leuten, die dieses „Problem“ auch mal hatten, sich noch nach Jahren bestens an diese schlimme Zeit erinnern können und ein Wundermittel gefunden haben. Immer wieder von mir zitiert die Fragen, wie man denn die Rolladengurte in die Waschmaschine bekommt, ohne gleich die ganze Decke abzumontieren, oder ob alle anderen auch so ein Problem haben, immer alle Steckdosenumrandungen und Lichtschalter in der Geschirrspülmaschine mitlaufen zu lassen. Äh, nein…. ICH habe diese Probleme mit Sicherheit nicht. Kalkflecken am Wasserhahn sieht man nämlich nicht, wenn genügend Zahnpastaspritzer rundherum sind. Und ich würde meine Rolladengurte wahrscheinlich lieber blau anmalen als dass ich die abmontieren würde.

Außerdem bringt mich da so eine ganz bestimmte Gruppe immer wieder kurzfristig aus der Fassung. Ich nenne sie mal die Peniblos. Postet jemand seine Küche mit Aufräumbedarf am Morgen (okay, das wäre dann bei mir wohl eher das Nachher-Foto) und ganz stolz nach 1 1/2 Stunden harter Arbeit in strahlender Sauberkeit – kommt garantiert irgendjemand aus der Peniblos-Gruppe an und meint naserümpfend (gibt es dafür eigentlich einen passenden Smiley?), sooooo würde aber ihre/seine Küche NIEMALS NIE NICHT aussehen. So könnte sie nicht schlafen gehen. Sich nicht mal aufs Sofa setzen. Auch nicht aufs Klo. Das geht ja wohl mal gar nicht.

Und aus dem ehemaligen Stolz wird sofort eine Verteidigung: nur ausnahmsweise, war gestern so spät und außerdem eine beginnende Grippe…. Nein, NIEMALS sieht meine Küche so aus! Nicht bei zwei gebrochenen Armen. Punkt!

Oder in einem anderen Beitrag werden Vorher-/Nachher-Fotos gepostet, weil der Beitragersteller sich so freut, dass er/sie einem Bekannten beim Aufräumen helfen konnte. Sofort kommen die Peniblos aus ihren Höhlen: wieso sieht das denn dort so aus? Bestimmt ein Messie. Alleinstehender Vater. Da müsste man doch das Jugendamt wegen Verwahrlosung einschalten. Schließlich ist der Wohnzimmertisch nicht abgeräumt. Bestimmt trinkt er jeden Abend Alkohol. Der müsste aber gaaaaanz dringend mal zum Psychologen. Soooo wie es da ausgeschaut hat – und auch jetzt, sorry, aber das ist ja echt übel, dass da eine Spielekonsole steht. Spielekonsole, wenn Kinder im Haus sind? Horror! Nein, sag nur, stand da etwa ein Glas NUTELLA auf dem Tisch? Die Kinder werden auch noch ungesund ernährt UND vor die Glotze gesetzt. Geht gar nicht! Dabei dachte ICH bei dem Vorherbild noch: Hey, da haben ein paar Kinder mit ihrem Papa Spaß gehabt und in einer halben Stunde ist wieder alles aufgeräumt. Also: eine komplett unterschiedliche Wahrnehmung derselben Situation.

Genau das gibt mir immer zu denken. Das passiert ja überall im Leben. Dieselbe Situation wird von verschiedenen Menschen total unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert. Warum? Weil jeder Mensch einen anderen Hintergrund hat. Jeder setzt seine Prioritäten anders. Aufgrund seiner aktuellen Lebenssituation und aufgrund seiner gemachten Erfahrungen. Dabei nicht zu vergessen: das aktuelle lebendige Umfeld. Das ist auch alles so in Ordnung, darf sich ja schließlich jeder gerne seine eigenen Probleme selbst machen. Wo es für mich grenzwertig ist: wenn andere Menschen runtergemacht werden. Nur um den eigenen Wert (vermeintlich) zu erhöhen, müssen andere nicht abgewertet werden. Wer sicher ist und mit seiner Welt im Reinen, der hat das doch gar nicht nötig. Aber das ist schon wieder ein ganz anderes Thema.

Während so ein Peniblo die Freude an einem eigentlich schönen, gemütlichen und geordneten Wohnumfeld mit einer hochgezogenen Augenbraue zunichte machen kann, finde ich eigentlich noch schlimmer, dass andere mit ihren Problemen in den eigentlich dafür gedachten Gruppen gar nicht mehr trauen, was zu fragen. So ein Post mit dem Rolladengurt oder mit dem Kalkfleck-Problem bekommt gut und gerne 200 Antworten – wenn nicht noch mehr. Aber ein Post mit dem Geständnis, dass man mit dem eigenen Chaos nicht fertig wird und keine Motivation zum Anfangen oder Dranbleiben hat, erhält nur eine ganz spärliche Resonanz. Oft würde ich gerne darunter schreiben: „Mensch, komm doch in unsere Gruppe. WIR verstehen dich!“ Mache ich nicht, wegen Werbung und so. Aber grrrrr….. die wenigen wohlmeinenden Antworten lauten dann: „Du schaffst das. Lass dir Zeit. Nicht so viel auf einmal. Mach doch zuerst mal Plan 1 für Montag und dann Plan a für Ausmisten. Danach kannst du ja mit Plan 1.a für Montage in ungeraden Kalenderwochen weitermachen und vergiss nicht, dass wir uns jeden Tag ein Extra-Zimmer vornehmen und dass du ja auch noch das Wochen-Highlight und das Monats-Spezial machen musst. Bei schönem Wetter natürlich den Garten nicht vergessen. Das wird schon!“ Ähem… ich liebe Pläne. Aber selbst ich würde mich dann lieber heulend mit einer Tüte Chips und einem Krimi auf mein Sofa verziehen. Was zuviel ist, ist zuviel. Deshalb mein ständiges Plädoyer: „Kleine Schritte in die richtige Richtung!“ Ja, und das Umfeld muss natürlich auch stimmen. Deshalb finde ich unsere Facebookgruppe für coole Chaoten so genial. Eine Wellenlänge, Verständnis, Unterstützung und Hilfe auf gleicher Augenhöhe. Schaut doch einfach mal rein:

Facebookgruppe „Cool im Chaos“

 

Was ein Chaot ist, habe ich hier schon erklärt:

Coole Chaoten: Du bist gut so wie du bist

Und was ich unter Wohlfühlordnung verstehe, findest du hier:

Hinter jedem Chaos steckt ein anderer Chaot

 

 

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